Der Selbstmanagementansatz in der Drogenberatung

Die Grundlage unserer beraterischen Tätigkeit ist das Selbstregulations-Modell (eine Weiterentwicklung des behavioristischen Lernmodells) nach F.H. Kanfer. Dieses Modell geht davon aus, dass sich der Mensch bis zu einem gewissen Grad von Einflüssen durch die Umwelt unabhängig machen kann, weil er die Möglichkeit hat, sich selbst zu steuern und zu verstärken, also sich selbst zu regulieren. Im Kontext der Selbstmanagementtherapie finden vor allem Lern-, Motivations- und Handlungstheorien, aber auch alle Theorien und Wissensgebiete, die in bestimmter Weise auf Veränderungsprozesse ausgerichtet sind, Beachtung. Selbstmanagementtherapie (Kanfer, et Al. 1996) ist auf das Ziel ausgerichtet, Problembewältigung zu leisten bzw. eine Verbesserung der jeweiligen Lebenssituation der Betroffenen zu bewirken.

Selbstmanagement basiert auf einem ganzheitlichen Menschenbild. Als wichtige Leitmotive dieses Ansatzes sind Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Selbststeuerung zu nennen. Ziel ist eine verbesserte Selbststeuerung, um möglichst aktiv zu einer eigenständigen Problembewältigung befähigt zu werden. Dazu ist es erforderlich sich mit den Überzeugungen, den unbemerkt ablaufenden Gedanken, und den Grundeinstellungen, die das Verhalten, Empfinden und Denken prägen aus-einanderzusetzen und zu hinterfragen. Durch die neu erworbenen Kompetenzen werden die Patienten ermuntert ihre jeweils eigenen Lebensperspektiven zu entwerfen, Abhängigkeiten aufzulösen, sich die Frage nach den eigenen Wünschen zu stellen und umzusetzen. Dabei wird der Patient in der persönlichen Entscheidung über den Ausstieg aus der Sucht und der selbstverantwortlichen Gestaltung seiner Zukunft unterstützt und gefördert.

Dies ist ein zeitlich begrenzter Lernprozess, in dem der Ratsuchende seine Selbststeuerungsfähigkeit wiedererlangt und damit lernt ein eigenverantwortliches, selbst kontrolliertes und autonomes Leben zu führen. Dafür ist es notwendig, dass die Betreuung und die einzelnen Interventionen so gestaltet sind, dass sie dem Bedürfnis nach Kohärenz entgegenkommt. Der Kohärenzsinn setzt sich aus den drei Komponenten: Überschaubarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit zusammen. Der Betroffene soll ein Gefühl des Vertrauens entwickeln, dass erstens die Anforderungen aus der internalen und externalen Umwelt strukturiert und erklärbar sind, dass zweitens die Ressourcen verfügbar sind, die notwendig sind, um den Anforderungen gerecht zu werden und dass drittens diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Investitionen und Engagement (Anstrengung) verdienen. Dadurch wird das Individuum befähigt flexibel auf die jeweiligen Anforderungen zu reagieren und aus dem vorhandenen Repertoire wirksam erscheinende Ressourcen auszuwählen.

Wichtig ist es, im Beratungsprozess die betreuten Menschen jeweils über Sinn und Zweck von Maßnahmen zu informieren und das Anforderungsprofil individuell ihren jeweiligen Möglichkeiten anzupassen. Dies dient auch als Modell für den einzelnen und hilft ihm beizubringen, im Hinblick auf die Zukunft seine Ziele differenziert und erreichbar zu gestalten. Entscheidend für die Beratung und Begleitung bei Suchtkranken ist daher, nicht die pathologischen Anteile in den Vordergrund zu stellen, sondern von bisherigen Problemlösungsversuchen zu sprechen, die langfristig jedoch nicht die gewünschten Effekte brachten. Hier werden die zahllosen Versuche der Selbstheilung gewürdigt, was die Übernahme der Selbstverantwortung und die Veränderungsmotivation stärkt. Neben der Analyse bisherigen Verhaltens wird im Sinne der Salutogenese ergründet, welche Maßnahmen und Verhaltensweisen ein gesundes Leben fördern.

Ausgehend von der Vorstellung, dass Menschen in vielen Bereichen über Ressourcen verfügen, die sie befähigen, ihre eigenen Probleme zu lösen, ist es zunächst Ziel der Beratung, mit dem Patienten gemeinsam die vorhan-denen Ressourcen zu ergründen und sie dann in einem weiteren Schritt zu stärken und zu erweitern. Der Ratsuchende wird über den gesamten Behandlungsprozess darin unterstützt, sein Potenzial zu erkennen, zu entfalten und dann auf die Handlungsebene zu bringen. Dadurch übernimmt er Mitverantwortung für den eignen Gesundungsprozess. Durch verschiedene lösungsorientierte Interventionen werden persönliche Bewälti-gungsmöglichkeiten wieder entdeckt oder ganz neu aufgebaut, sodass die vorhandenen Ressourcen genutzt werden. Durch Fokussierung auf symptomfreie Zeiten werden neue Sichtweisen und Verhaltensmöglichkeiten entwickelt. Dieser Zugang zu den persönlichen Ressourcen der Konflikt- und Auseinandersetzungsfähigkeit vermittelt eine Erhöhung der Selbstwirksamkeit. Dafür ist es wichtig, dass eine genaue Auftrags- und Zieldefinition zu Beginn des Beratungsprozesses resp. der Nachsorgebetreuung festgelegt wird, die anhand einer Zielerreichungsskala (Kirusek u. Lund, 1979) regelmäßig während des Prozesses überprüft wird.

Hierzu werden Techniken und Methoden der Verhaltenstherapie eingesetzt, wie z. B. Gedankenstopp, verdeckte Kontrolle, Stimulus-Kontrolle, kognitive Umstrukturierung, Selbstsicherheitstraining, Entspannungstraining, Methoden zur Angstbewältigung, Problemlösungstraining und andere Verfahren. Der verhaltenstherapeutische Ansatz wird ergänzt durch konstruktive Ansätze anderer Therapieschulen, vor allem durch tiefenpsychologische und familientherapeutische fundierte Interventionsmöglichkeiten. Die verschiedenen Sichtweisen zusammen helfen uns und den von uns betreuten Menschen, die Dynamik der Persönlichkeit und die Funktion des Suchtmittelge-brauchs zu verstehen, die Einbettung in soziale Zusammenhänge aufzudecken und differenzierte individuelle Lernvorgänge zu initiieren. Die Abhängigkeit von Suchtmitteln wird als Erkrankung verstanden, die den ganzen Menschen betrifft und sie wird dementsprechend behandelt. Ein solches Verständnis geht davon aus, dass der Mensch nach Wachstum und Ausdifferenzierung seiner Persönlichkeit und seiner Potentiale strebt.